Samstag, 6. Mai 2017

Beim Bader

Wie befinden uns im Jahre 1340 n.Chr. Das ganze Mittelalter ist besetzt von Dreck, Blut und Eiter .... das ganze Mittelalter? Nein. Ein von renitenten Wienern bevölkertes, städtisches Badehaus hört nicht auf dem Klischeeschmutz Widerstand zu leisten ..

So oder ähnlich könnte man unsere Intention beschreiben als wir uns daran machten ein wenig Filmlicht in die Badekultur des 14.Jahrhunderts zu bringen. Dies ist also ein Blogbeitrag für den es ein Begleitvideo gibt. Klingt cool, oder? Na, man könnte auch sagen dieser Beitrag soll das erklären und vertiefen was man im Video zu sehen kriegt .. ein Buch zum Film also. Auch lässig!

Aber beginnen wir zuerst mit einem (wirklich) kurzen Abriss der Badegeschichte. Wer gerne mehr darüber erfahren möchte dem sei z.b. Birgit Tuchens "Öffentliche Badhäuser in Deutschland und der Schweiz im Mittelalter und der frühen Neuzeit" oder Maja Grafs "Städtische Badekultur im Mittelalter" ans Herz gelegt. Vor allem Fr. Tuchens Buch ist eine sprudelnde Quelle an Wissen über die Badekultur des Mittelalters und eine der Hauptquellen für unser Video und diesen Beitrag.

Die römische Badekultur mit Tauch- und Wannenbädern blieb auch nach dem Verfall der antiken Thermen lange in Klöstern und im adeligen Umfeld die Norm, so zeigt auch z.b. die Manessische Liederhandschrift Herrn Jakob von Warte beim Bad im Zuber. Im bürgerlichen und überraschenderweise auch dörflichen Umfeld setzte sich hingegen die (aus germanischer Tradition stammende) Schwitzbadekultur durch. Statt lustvollem Rumzubern mit Weintrauben und nackten Weibern hatten wir also ein paar schweißtreibende Drehtage mit alten, nackten und geruchvoll schwitzenden Männern vor uns. Tja, so ist das in der Living History. Kein Spaß weit und breit. 


Our english-speaking guests can find an abstract at the end of the article


Aber nun endlich zum Film:

Wir beginnen mit einer verschlafenen Straßenszene in einer mittelalterlichen Stadt: Kinder spielen auf der Straße, ein Dominikaner geht in Glaubensfragen vertieft seines Weges und eine Bürgerin eilt, die Bedienstete im Schlepptau eilig ... na halt irgendwohin. Von nun an richten sich die Szenen nach einem Gedicht von Seifried Helbling (vom Ende des 13.Jahrhundert) und sind überschriftenartig hervorgehoben.

Ich hôrte daz der Bader blies 


Toll! Ins Horn stossen! Da aber trotz intensiver Suche in der ganzen IG14 keiner mit richtigem (gebrennpetertem) Hornhalter aufzutreiben war, mussten wir auf die anderen in den Textquellen erwähnten Methoden der Kundmachung, wie das gezeigte Schlagen auf das Messingbecken zurückgreifen (zum Anschlagen findet bei uns ein Wäschpleuel Verwendung). Oder eben das Ausrufen, das wir ebenfalls umgesetzt haben. 
Auch das "Ausstecken", also ein Sichtbarmachen der Öffnung ist belegt, wir haben uns hier für den symbolträchtigen Badewedel entschieden.
Aber wozu das Ganze? Der Bäcker oder Schuhmacher tutet ja auch nicht wenn er morgens seine Werkstatt aufsperrt? Stimmt, Badehäuser waren aber anders als die meisten Gewerbe nicht jeden Tag geöffnet, üblich waren in der Regel 2-3 Tage pro Woche. Grund dafür war der enorme Holzbedarf der Badstuben der einen täglichen Betrieb ohne Vollauslastung nicht ermöglicht hätte.
Also wechselte man sich ab und teilte sich so die beliebtesten Badetage (Mittwoch und Samstag, Freitag war meistens geschlossen) was bei etwa 30 konkurrierenden Badestuben im Wien des 14. Jahrhunderts wohl auch notwendig war. Zur Durchsetzung solchen Regulierungen schlossen sich die Bader in Wien zu einer Zeche zusammen (1321 erste überlieferte schriftliche Ordnung).

.. nim min badhemd mid dir.


Nun kommt der Karl, ein Flickschuster, getrieben vom Drang nach Sauberkeit (des Körpers, nicht der Gedanken). Er führt sein Handtuch und sein Rasiermesser mit sich, da diese Gegenstände in der Regel Eigentum des Gastes waren. Ein eigenes Badehemd hat er nicht, er trägt seinen Alltagsrock auf dem Weg in die Badstube.

Als ich zuo dem badehûse kam
der kneht von mir nam
daz gewant und leit ez hin.


Nach dem Eintritt in die Badstube ging der Kunde in den Umkleideraum, die "abziehstube" wo er seine Alltagskleidung ablegte und sie dem Bader oder Badknecht zur Verwahrung übergab. Der Bader haftete für die hinterlegten Gegenstände und hatte bei Verlust oder Diebstahl dem Geschädigten Ersatz zu leisten. In kleinen Badestuben wie der hier gezeigten wird der "abziehraum" mit dem Ruheraum identisch gewesen sein.

Si trouc mit bat ein scheffel dar
weder ze kalt noch ze warm
Sie streich mir rücke bein unt arm
als ein weteloufaere


Nach dem Auskleiden (bei Männern bis auf die Unterhose, damals "bruoche" oder "niderwât" genannt, bei Frauen bis auf das Badehemd) ging es ab in das Vorbad. Dort wurde mit lauwarmen Wasser der erste grobe Schmutz entfernt und der Körper an die kommenden Temperaturen des Schwitzbades gewöhnt.

Ein weîbel vil gelenke

Die Bademagd übernimmt hier die Betreuung des Badenden. Es war keineswegs unüblich dass Personen anderen Geschlechts als Badebedienstete arbeiteten, auch wenn immer wieder darauf hingewiesen wird dass Badeknechte bei Frauenbädern eher weniger gern gesehen waren.

 .. einen frischen niuwen wâdel


Hier kommt nun auch der schon in der Einstiegsszene gezeigte, für das Baderwesen charakteristische Badewedel zum Einsatz. Schonend und sanft wird der Badegast damit "gestrichen" um die Haut zu reinigen und (seelisch) auf den späteren Extremwedeleinsatz vorbereitet.

Nû dar! zwei scheffel an die stein
dâ wir nâch erswitzen
Macht finster dâ wir sitzen
daz wir die wedel schwingen


Nach dem Vorbad ging es ab in die Schwitzstube. Der eigentliche Badeteil begann mit dem Überreichen der Badeutensilien an den Kunden: seinem Handtuch, dem Badehut und dem Badewedel. Nun konnte der Badende auf gestuften Holzbänken entlang der Wände Platz nehmen, je weiter oben man saß um so größer war die Hitze. Während der Badehut einen Hitzestau verursachte und zu einem starkem Schweißausbruch im Kopfbereich führte, verwendete man den Wedel um die Haut des Körpers zu schlagen und auch dort die Schweißbildung und Blutzirkulation anzuregen.
Um die heiße und feuchte Atmosphäre aufrecht zu erhalten wurde regelmäßig "aufgegossen" in dem man entweder heiße Steine direkt auf dem Ofen mit Wasser übergoss oder die Steine in "scheffeln" zu den Badegästen brachte.

... guot louge man gewinnen sol


Wenn der Gast dann nach ausgiebigem Schwitzen (und Geplauder) genug von den tropischen Verhältnissen hatte, begab er sich vom Schwitzbad in das Nachbad. Dort erfolgte dann die ausgiebige Reinigung des Körpers, bis ins 16.Jahrhundert in der Regel aber nicht mit der für uns so üblichen Seife sondern mit eigens angesetzten Aschelaugen. Obwohl Seifen aus Rindertalg oder Olivenöl (Importwaren aus Europas Süden) schon bekannt waren wurde beim Waschen und Rasieren wohl aus Kostengründen immer noch auf aus Weinreben- oder Weidenasche erzeugte Laugen zurückgegriffen.
Die Herstellung von Badelaugen ist gut dokumentiert, so zeigt z.B. Thomas Murners allegorische Abhandlung "Ein andechtig geistlich Badenfart" (um 1500) nicht nur einen Holzschnitt der Herstellung sondern erwähnt diese auch im Text.

Um den Körper gründlich zu reinigen wurden diese Laugen mit Schwämmen auf dem Körper aufgetragen und dieser dann gründlich abgerieben. Auch das Waschen der Haare wurde mit Hilfe der Badebediensteten mit Aschelaugen erledigt.

Nû dar her schaerer
strîchet scharsach unde scher
ebent hâr und scheret bart.


Ein weiteres Service das in den Badestuben angeboten wurde war das Rasieren und Haar schneiden. Immer im Streit mit den "truckenschaerern" (die Rasuren ohne vorhergehendes Bad anboten, eine schon in damaligen Texten als eher rüde und unangenehme Erfahrung beschriebene Tortur) hatten die Bader bei der Körperpflege die Nase vorn. Das durch das Schwitzbad und die Laugenwäsche weich gewordene Haar ließ sich wesentlich schonender und angenehmer entfernen oder schneiden.
Dazu kamen Rasiermesser (oft in Kundenbesitz, siehe oben), Metallkämme, Scheren und das zum Symbol des Badertums gewordene Scherbecken zum Einsatz, alles Realien die durch archäologische Funde in ehemaligen Badehäusern gut dokumentiert sind. Das Scherbecken diente in Rechtshandschriften des 14.Jahrhunderts sogar als ikonographisches Symbol zur Identifikation von Baderszenen (siehe 1. Bild im verlinkten Beitrag zum Rasiermesser).

Der Bader erfüllte aber neben der regelmäßigen Körperreinigung auch noch andere Bedürfnisse des mittelalterlichen Menschen: Schröpfen oder Aderlass wurde ebenso angeboten (und oft als fixer Bestandteil des Bades ausgeführt) wie das Schneiden von Geschwüren oder das Richten von Knochen. Da unser CGI-Department aber aus Kostengründen eingespart werden musste haben wir auf die so beliebten "Blut spritzt! Alles lacht!"-Szenen notgedrungen verzichtet.
Ein Bodydouble für so einen Prachtkerl wie den Karl war auch nicht aufzutreiben und da der Karl ja wie der Cruise Tommerl darauf besteht alle Stunts selbst zu machen, stieg beim Star schneiden (Pun intended!) die Versicherung aus.

Dâ was mir gerihtet für
ein bette als ich wolde
dâ ich rouwen solde


Zum Gesamterlebnis des mittelalterlichen Wellness-Badetags gehörte neben Reinigung und Schönheitspflege dann auch noch das Ruhen. Denn nach all der Wedelei, Wascherei, Schererei, Schnipplerei und dem Anblick knackiger Bademägde war "mann" natürlich erschöpft. Frau wohl ebenso, auch wenn der bei uns verwendete Bader jetzt nicht gerade der Nasstraum aller Mädels ist.
Badestuben boten daher Ruhebetten an in denen der Besucher nach dem Bad ein kleines Schläfchen halten oder einfach mal ein wenig rasten konnte. Natürlich wurde den Badehäusern auch oft unterstellt diese Betten an die Damen (und Herren) des horizontalen Gewerbes zu vermitteln die dort dann ihrer schweißtreibenden Arbeit nachgehen konnten. Pfui, sag ich da! Pfui! Kaum sauber schon wieder was "Dreckiges"? Wie widersinnig! Nicht mit uns ...

(Die erweiterte FSK-18 Vollversion des Videos kann gegen eine Überweisung von 200 Bitcoins im linken unteren Eck des Darknets erworben werden. Aber das habt ihr nicht von mir!)

Die badeliut nâch ir lône
dienten; des wart in gegeben


Nach dem Schläfchen kleidete der Gast sich fertig an und bezahlte seine Rechnung an den Bader. Und weil die Gotik keine sehr hektische Zeit war, saß man wohl nach dem Bad auch noch eine Weile gemächlich zusammen, spielte und trank. Darauf deuten jedenfalls die Funde von Spielsteinen und Trinkbechern hin die im Zusammenhang mit Badehäusern immer wieder auftreten.

Wer diesen gesellschaftlichen Aspekt bildlich vertiefen will muss jedoch auf den Trailer unserer Baderfilms zurückgreifen. Die wirklich emotionalen und das Gemüt aufrüttelnden Spielszenen mit all ihren filmpreisverdächtigen Dialogen sind nämlich der angestrebten Ernsthaftigkeit unserer Post-Production-Crew zum Opfer gefallen.


Abstract for our english speaking visitors:

This is an article accompanying the below video we made:

VIDEO on YouTube

While late medieval bath culture in monasteries and high classes was mostly charakterised by bathing tubs and real water baths, the middle classes and rural regions mostly counted on sweat and steam baths.A poem by Seifried Helbling (late 13th century) gives us the guidelines for our Video scenes.

We start with the opening of the baths, this was usually done by blowing into a horn, here we use another method, the bathmaster just hits the bronze basin with a wash-paddle and sends out children to bring the guests in. Bathhouses were opened only 2-3 days per week since wood was quite expensive and among 30 other bathhouses in 14th century Vienna, full occupation was rare for the bathmasters. To allow a fair distribution of opening days to all bathhouses in Vienna, a guild was formed in 1321. To signal that the bath is open, visual signals like signs or our bath frond were in use.
Our guest comes in, carrying his own towel and razor knive since these were usually owned by the guests. Some even used to have shirts just for visiting the bathhouses.
The guest undresses and leaves the clothes and accessories to the bathmaster. He will keep them save and even vouch for them if they should disappear.
Before the guest enters the steam bath, he will at first be washed in a pre-bath, much like taking a shower prior to going to the Sauna today. A bathing-servant (both genders were common for this task, although male servants were not favoured for serving female guests) washes the guest and brings blood circulation on speed with the bath frond.
Afterwards, the guest takes a seat in the steam bath. The bath works like todays steam baths mostly. The bath fronds are used to activate blood circulation and the hats increase sweating in the face and on the hair.
The next shot shows our bathmaster making lye from ash, although soap was known to medieval people, lye was much more common for washing the face and body as well as laundry. With this lye, our guest washes his body and hair thoroughly.
A usual service in bath houses was the cutting of hair and shaving. The removal of body hair is commonly described as being done after steam baths since the hair would be softened and loosened from the bath.
Of course, other services were offered (bloodletting, cupping and medical applications). Yet we did not have the ressources to show that here :-)
Afterwards, a resting room would have been part of the bathing day of the guest. The beds also did have another uses, bathhouses were known to host other businesses as well (wink, wink).
After resting, drinking or gambling were common as dice and cup finds from bathhouses prove.