Donnerstag, 25. September 2014

Inverse Primärquelleninterpretation

Heute mal ein schön wissenschaftlicher Titel! Oder? Na, ich denke schon. Für die Hintergründe für so viel Pseudowissenschaftlichkeit muss ich aber noch ein paar Zeilen um Geduld bitten.

Wer meinen Blog liest, weiß das ich an einem neuen Dolchmesser gearbeitet habe, wer nicht kann dieses schmerzliche Informationsdefizit gerne HIER und HIER ausgleichen um nicht schon zu Beginn dieses Artikels in Rückstand zu geraten.

Jedenfalls ist besagtes Dolchmesser zu einer ziemlichen Baustelle geworden: Bauen, Griff gebrochen, Zerlegen, nochmal Bauen, zur Schau stellen, Grübeln, Nachschleifen, erneut zur Schau stellen, Stufe drin, wieder Zerlegen, ein letztes Mal Bauen .. und dann endlich Polieren und Ölen. Uff.



So, und nun? Vollmundig hatte ich für die Scheide ja was besonderes angekündigt und da konnt ich ja jetzt schlecht irgendwas zusammentackern. Aber es spukte schon  länger etwas in meinem Kopf herum ... und DAS führt uns jetzt zur inversen Primärquelleninterpretation!

Was soll sich so ein Wiener Handwerker um 1340 denn auf die Messerscheide machen, wenn er mal nicht ein Dings von der Stange kaufen will? Etwas Zeitgemäßes wär mal was, dachte ich mir. Zeitgemäß damals natürlich, nicht Werbung für Urlauberportale oder die nackte Maid von Seite 3 der U-Bahn-Zeitung. Aber was wäre denn jetzt so zeitgemäß gewesen?

Erhaltene Exemplare zeigen sehr oft Wappen. Warum? Keine Ahnung, es wird sich bei der Fülle aber wohl nicht allesamt um Messerscheiden von Adeligen handeln, abgesehen davon dass manche arg laienhaft wirken.

Also wäre ein Wappen zeitgemäß? Ja, denn das Wiener Stadtsiegel erhielt 1321 als zusätzliches Element das noch heute gebräuchliche Wiener Wappen, weißes Kreuz auf rotem Grund. 

Zeichnung des Wiener Stadtsiegels von 1346


Besonders spannend find ich in dem Zusammenhang, dass das Kriegsbanner des Heiligen Römischen Reiches ebenfalls ein weißes Kreuz auf rotem Grund zeigte. Irgendwie typisch wienerisch oder? Da brauchen wir uns kein Design einfallen zu lassen, können gebrauchte Fahnen wiederverwenden und wo immer es rund geht können wir sagen "In UNSEREM Zeiche fahren wir!" Toll! Und es macht die ganzen Kriegsgeschichten die die Senioren dann beim Heurigen (ja, auch der ist fürs 14. Jahrhundert belegt) erzählen umso spannender, wenn die Wiener Fahne bei jeder großen Schlacht des Mittelalters dem Reichsheer voranweht.

Also ein Wiener Wappen, gesagt getan und schon machte ich mich mit einem geliebten, neuen Stylus ans Werk.

Der verwendete Stylus aus Knochen und mit Eisenspitze, nach Fund gearbeitet

Zum Verzieren reicht es das Leder leicht anzufeuchten und dann die Zierde einfach einzuritzen ohne die Oberfläche des Leders zu beschädigen. Das geht ganz leicht und ohne großen Kraftaufwand, nur kleine Radien sind ein wenig problematisch.

Und weil ich die Scheide (so wie die beim letzten großen Messer) mit einem stark erweiterten Mund gestaltet hatte sah das jetzt so aus:

  

Blieb also nur mehr die lächerliche Gesamtfläche des gesamten Klingenbereichs und eine weitere Phase inverser Primärquelleninterpretation. Und ja, ich mag das Wortkonstrukt und es liegt ganz bequem und kuschelig in der Zwischenablage meines PCs.

Was also bewegt so einen Handwerksmeister noch? Standesprobleme vielleicht? Oder politische Motive? Wie wärs mit der Niederlage der ursprünglich in Wien eh nur mäßig beliebten Habsburger bei Morgarten 1315? Thematisch sehr interessant aber mit 25 Jahren doch schon ein Weilchen her. Außerdem war der um 1340 gegenwärtige Herzog Albrecht II beim Wiener Volk sehr beliebt, da wollt ich dem guten Mann dann doch nicht solche Schmach antun ... aber es blieb im Hinterkopf.

Die Schlacht von Mühldorf 1322 gegen den Kaiser wär auch noch so eine Sache die mir gefiel, da könnte der junge Niklas Hufenbauer ja sehr wohl dabei gewesen sein im nachgewiesenen Wiener Aufgebot. Vielleicht hat er ja den Zauberring der Habsurger gestohlen und ist ... nein, das ist eine andere Geschichte ... also kam auch Mühldorf in den Hinterkopf.

Dann setzte ich mich mit der innenpolitischen Situation Wiens im 14. Jahrhundert auseinander und stieß auf die damals sehr brennende Diskrepanz des ausschließlich mit Erbbürgern besetzten Stadtrates. Dass das den Handwerkern und Kaufleuten wenig gefiel war klar. So kam es dann 1356 auch zur Erweiterung des Rates in Inneren und Äußeren Rat und zur Aufnahme von 40 Personen aus der „gmain" (der Bürgergemeinde) in den Äußeren Rat und somit zur Geschäftsfähigkeit der gehobenen Nicht-Erbbürgerschichten. Und da wollte ich den guten Niklas doch allzu gern darin verwickeln.

Blieb nur mehr ein Motiv zu wählen ... und da sprang mich eine Geschichte nahezu an: Morgarten+Mühldorf+Standeskämpfe = David gegen Goliath.

Also suchte ich nach geeigneten Abbildungen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts die diesen Kampf zeigten, wurde fündig und begann mit der Umsetzung. Und die erforderte ein gewisses Maß an zeichnerischer Begabung, da will ich mich mal gar nicht zu wenig loben:


Mit detaillierten Szenen verzierte Messerscheiden sind ja leider eher Mangelware im Fundgut des 14. Jahrhunderts aber ein paar Beispiele ließen sich finden. Da die Platzaufteilung mit dem kleinen David im unteren, schmalerern Scheidenbereich und dem Riesen Goliath oben recht eindeutig zu gestalten war konnte ich direkt mit den Figuren anfangen. Um nicht zu klein zu werden mit den Figuren hab ich dann auch auf schmückende Medaillons um die beiden verzichtet.

Zuerst kam der Goliath, angefangen mit dem Umriss und später ergänzte ich die wichtigsten Linien. Am Schluss fügte ich dann erst die zahllosen Details dazu (und fast hätt ich den Stein vergessen):


Darunter setzte ich dann den David:


Für die süßen Schäfchen der Buchmalereivorlage war leider kein Platz mehr, also blieb mir nur noch den Hintergrund zu gestalten. Dafür wählte ich ein Rautenmuster wie es in der Buchmalerei der Hochgotik bei zahllosen Illuminationen zu finden ist.

Zum Schluss hab ich dann noch etwas Ruß aus dem Kamin gekratzt, mit Talg aus dem Talglämpchen vermischt und die ganze Scheide damit eingerieben. In den Vertiefungen bleibt das Zeug zurück und schafft einen angenehmen Konstrast.

Zuletzt hab ich die Scheide nochmal gut eingefettet und die Scheidenaufhängung hinten am Mund angebracht, ein einfaches Lederband in diesem Fall. Tja, und dann .. Fertig! Fotografieren und Angeben fehlte noch, aber das mach ich eben jetzt.




PS: Wer sich jetzt wundert, warum ich mir mir Gedanken darüber mache wie eine fiktive, hochgotische Person zu bestimmten Sachen kommt, wird schnell feststellen dass ich zur "Pro-Vita" Fraktion der Geschichtsdarsteller gehöre. Und wem der Begriff jetzt nichts sagt: Es hat nicht mit dem traurigem Thema Abtreibung zu tun und es geht dabei auch nicht um rechtsdrehende Joghurtkulturen und ihre Auswirkung auf die Darmflora. Worum es dann geht? Das werd ich in einem Blogeintrag der Zukunft noch erläutern. Geduld!

Abstract for our english-speaking guests:

I made another dagger knive and again it is (altough only loosly) based on the knive findings from eastern switzerland. The handel ist made from boxwood with packages of iron sheet and leather. The scabbard ist made from cow hide and decorated with the crest of Vienna and a carving of David versus Goliath.